Hannes Tschürtz

pathfinder in culture & economy

Die Selbsttäuschung.

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Am Freitag ging zum zweiten Mal der „All Music Friday“ über die Bühne – eine von Spotify veranstaltete Eintageskonferenz rund um Streaming. Natürlich wurde viel über den grünen Riesen selbst gesprochen, über die Zukunft und über die ominöse 1000-Stream-Grenze. Der Ton war höflich, die Themensetzung (wenngleich nachvollziehbar corporate) ehrlich bemüht – und all das hat vor allem eines getan: Die längst zur Kenntnis genommene Marktmacht von Spotify demonstriert, die sich in Wahrheit an ganz anderen Schauplätzen viel subtiler manifestiert hat.

Der Mensch, auf der ständigen Suche nach Aufmerksamkeit und Wertschätzung (sic!), vergleicht sich gerne. Spotify hat sich exakt das früh zunutze gemacht und von der ersten Stunde an seine Marktmacht einfach als Behauptung aufgestellt, indem es die Hörerzahlen und Streams aller Titel und Artists publiziert hat. Diese simple Übersetzung des „Like-Syndroms“ der Social-Media-Ära auf die Musikwirtschaft suggeriert Transparenz, während damit in Wahrheit (und gegebenenfalls unbeabsichtigt) ein wahres Monster der (Selbst-)Täuschung geboren wurde. Seither hält sich von den Festival-Bookern über die Journalismus-Bubble bis zum Stammtischgespräch jede:r für einen Experten in der Einordnung der „Größe“ eines Artists.

Gut, es vergeht kaum ein Gespräch, indem unsereiner nicht gefragt wird, wie sich das angesichts der mittlerweile bekannt geringen Streaming-Erlöse (pro Play) rechnen könne. Aber man lässt sich dann doch von hohen Zahlen blenden. Zumal man Spotify (einerseits) und Streaming insgesamt (andererseits) für die wahre und einzige Währung hält – weil man ja auch andere Referenzwerte kaum bis gar nicht in der Öffentlichkeit kennt oder wahr nimmt.

Dance/EDM-Artists wie Lum!x, Österreichs Song Contest-Starter 2022, nutzen das und die Systematik ihres Geschäftszweiges weidlich aus: Mit 8,3M monatlichen Hörer:innen ist er der König unter den hiesigen Streamern, weit vor Chart-Dominator RAF Camora (5,6M). Erreichen tut er diese Zahl vor allem mittels zahlreicher Features. Keiner seiner Top 10-Titel stammt „nur“ von ihm, sieben davon hat er an der Seite seines Mentors, dem Szene-Superstar Gabry Ponte, umgesetzt. Weil der Algorithmus mit der Platzierung als „Main Artist“ auch ihn und seine künftigen Releases pusht, ist das neben allen potentiell künstlerischen Belangen damit vor allem auch ein clever arrangiertes Marketing-Paket.

Als Mira Lu Kovacs, die versatile Grande Dame der hiesigen Singer-Songwriter-Landschaft, 2022 mit den Drum&Bass-Heroen Camo & Krooked kooperiert, wirkt dieselbe Logik und ihre „monthlys“ steigen an der Seite der neuen Partner um ein Mehrfaches. Das großartige „No Way Out“ prangt seither auch als ihr „erfolgreichster“ Track an der Spitze ihres Spotify-Profils, wiewohl das und ihre daraus resultierende algorithmische Empfehlung an eine D&B-Kundschaft wohl wenig Wahrhaftiges zutage fördern. Die eigentlichen Fans werden andere Titel (mehr) schätzen, und Miras wahre (auch ökonomische) Qualitäten liegen weit abseits des Berieselungsmodus von Spotify, der über die berüchtigten Algorithmen diese Zahlen schnell in die Höhe bringt.

Der aktuelle Spitzenreiter der hiesigen Album-Charts etwa, das Paul Pizzera/Christopher Seiler-Projekt Aut Of Orda, das mit großer Unterstützung des größten Radiosenders und des größten Brauseherstellers des Landes schnell massiv an Popularität gewonnen hat und große Hallen zu füllen imstande ist, hält bei gerade einmal 123k „monthlys“ – weit weniger als Mira Lu Kovacs. Und es ist zu bezweifeln, dass die fraglos fantastischen Sharktank (mit 393k) tatsächlich dreimal so „groß“ sind wie sie. Selbst ihre 11.800 „Follower“ auf Spotify sind gerade ein Drittel jener von My Ugly Clementine.

Letztlich ist das alles ein bisschen Scharade. Gerade in Österreich kennen wir den mathematischen Grundsatz „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“. Wohl sind diese Zahlen durchaus akkurat, doch unterscheiden sie nicht zwischen aktiven und passiven Hörer:innen. Sie erzählen nichts über Conversions und „echte Fans“, über ganz andere Zahlen wie Album- oder Ticketverkäufe; oder über Fan-Loyalität. Vielmehr erzählen sie uns etwas darüber, wie Spotify (und seine Kundschaft) funktioniert. Und das ist mit zusehender Größe (am Freitag wurden stolz erstmals über 600M Nutzer:innen weltweit kundgetan) und Breite halt auch dünner und platter. Im Radio haben wir in den letzten Dekaden die Unterscheidung des „Werts“ von Hörer:innen deutlich vor Augen geführt bekommen, waren doch Einfluss und Empfehlungscharakter einer kleinen Station – FM4 – im Hinblick auf Fans oder Ticketkäufe meist bedeutsamer als jener der Mainstream-Schwester Ö3, die zehnmal soviele Menschen erreichte. Die Qualitäten und Vorteile beider Seiten sind vorhanden, aber in sich sehr unterschiedlich.

Zahlen sind nicht alles, sie bedürfen einer Interpretation und einer Einordnung. Wir, die wir mit den Artists arbeiten, können das teilweise mit Tools wie „Spotify for Artists“, aus dem mit etwas Übung und Erfahrung tatsächlich ein bisschen mehr abzulesen ist. Dass (nur) daraus aber etwa ein kluger Tourplan zu bauen wäre, weil man sieht, dass in Hamburg und Berlin halbwegs viele Menschen die Musik hören, ist jedoch ebenso eine (umgekehrte) Legende. Spotify mag der Marktführer und in seiner Wichtigkeit enorm sein; trotzdem ist der Streamingdienst in erster Linie ein Dienst und ein Werkzeug, dass es zu bedienen gilt. Und damit auch zu verstehen – woran die meisten nach wie vor scheitern.

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Der Vollständigkeit halber hier die Liste der am meisten gestreamten Künstler:innen aus Österreich (ohne Gewähr auf Vollständigkeit und mit Stand 21.04.2024) auf Basis der „monthly listeners“ auf Spotify:

  1. Lum!x (8,3M)
  2. RAF Camora (5,6M)
  3. Harris & Ford (4M)*
  4. Klangkarussell (3,7M)
  5. Falco (2,8M)
  6. Parov Stelar (2,7M)
  7. Toby Romeo (2,6M)
  8. Opus (2,5M)
  9. Palastic (2,4M)
  10. VisionV (2M)*
  11. Yung Hurn (1,5M)
  12. Ness (1,3M)*
  13. Andreas Gabalier (1,2M)
  14. Esther Graf (1M)

Außer Konkurrenz, weil die Zuordnung als „performing artist“ eine irreführend falsche ist: W.A. Mozart (7M), Johann Strauß Sohn (1,2M). Die mit * markierten Einträge wurden dank User-Inputs zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt. Danke für die Hinweise!


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Eine Antwort zu „Die Selbsttäuschung.”.

  1. Avatar von Paul Pfab

    servus, zumindest ein erfolgreiches österr. projekt möchte ich hier nachtragen: HARRIS & FORD – 4M MONTHLY. lg paul pfab

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