Hannes Tschürtz

pathfinder in culture & economy

Requiem oder Große Chance?

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Am Wochenende durfte die Musikbranche die 24. Amadeus Austrian Music Awards verdauen. Eine Einordnung mit nüchternem Blick und vernünftigem Abstand lohnt sich.

Es ist längst Teil der Folklore, dass vor, während und nach dem Musikpreis üppig darüber gejammert wird. Das liegt ein wenig in der Natur der Sache, wenn man sich durchdenkt, was ihm alles an Aufgabe und Verantwortung zugeschrieben wird. Einmal im Jahr soll eine ganze Musiklandschaft und ihre Geschehnisse in 100 komprimierte TV-Minuten passen, die sie sonst das ganze Jahr über nicht bekommt. Das ist eine Mission Impossible – und leider eine ohne Tom Cruise.

Ich nehme einmal gezielt ein paar beliebte (und absolut zu diskutierende) Problemfelder zur Hand: Genrekategorien, -namen und -grenzen sind in der Realität viel fluider und vielfältiger als sie abzubilden wären. Die Diversität und Qualität der Szenen lässt sich auch mit viel gutem Willen unmöglich in ein TV-Format wie dieses quetschen. Dass die Auszeichnungen basierend auf Publikums-, Verkaufs- und Jurywertung vergeben werden, führt dazu, dass weder die „Erfolg muss belohnt werden“-Fraktion noch die „Künstlerische Qualität ist alles!“-Fraktion zufrieden sind. Und abgesehen davon sind Geschmäcker halt verschieden. Der Amadeus ist damit geradezu das Idealbeispiel für das, was in der Politik gerne eine „österreichische Lösung“ genannt wird: Ein Kompromiss, der versucht, allen zu dienen und dabei niemanden so richtig zufrieden zu stellen vermag – allen ernsthaften Bemühungen zum Trotz.

Was wie ein Problemaufriss wirkt, ist hier aber nicht viel mehr als eine Oberflächenanalyse. Da wäre noch der ORF als langjähriger Partner; er überträgt die Awards im Spätprogramm – diesmal mit Beginn nach 23:00 an einem Freitagabend auf ORF1. Dass die Quoten hier nicht berauschend sind (diesmal 124.000 und ein Marktanteil von 13%) ist wenig überraschend. Und gleichzeitig Ausgangspunkt für eine von vielen Henne-Ei-Debatten: Kommt die schlechte Sendezeit von der schlechten Quote oder umgekehrt?

Seit den späten 90ern hat der ORF keine einschlägigen Jugend-, geschweige denn Popkultur-Magazine mehr produziert. Was „O.K“, „Ohne Maulkorb“ und „X-Large“ für die früheren Generationen war und geleistet hat, fiel seither ersatzlos weg. Heute sieht die Jugend nicht mehr fern. Weil es kein Angebot mehr für sie gibt oder umgekehrt? Das ganze Jahr über werden abseits von üppig budgetierten Schlagerparaden kaum musikalische Szenen im Fernsehen abgebildet. Während sich die Kulturredaktionen redlich bemühen, das in der aktuellen Berichterstattung abzufedern, sind Dokus wie jene über die Jazz-Heroen Shake Stew (Amadeus-Preisträger 2023) eine außergewöhnliche Seltenheit, die eher der Regelfall sein sollte. Um den Musik-Slot in „Willkommen Österreich“ gibt es intern Diskussionen über Sinnhaftigkeit und Finanzierung – und extern ein Riesen-G’riss, weil es praktisch die einzige Spielfläche im immer noch größten Medium des Landes ist. Bei all dem ist es kein Wunder, wenn der Boden im Land und im Sender nicht der fruchtbarste für eine – an sich sehr hochwertig produzierte – TV-Sendung ist. Freilich ist das eine Langzeitfolge und trotzdem der ORF nicht an allem Schuld (das wäre dann doch sehr billig).

Die IFPI als Ausrichter des Preises hat sich 2010 mit einer radikalen Reform dazu bekannt, den Amadeus als „Fest für die gesamte österreichische Musiklandschaft“ zu veranstalten. Und diesem honorigen Anspruch kann er heute nicht (mehr) gerecht werden. So sehr sich der Verband der österreichischen Phono-Industrie gerne als „die Musikwirtschaft“ sieht und bezeichnet, ist auch sie deutlich größer, bunter und vielfältiger, als sie vom wesentlichen Verband und seinen Bemühungen gesehen und abgebildet werden kann. (Disclaimer: Ich bin einer von sechs Vorständen im Verband; wenngleich die Wirkmacht von Universal, Sony und Warner eine ungleich größere als meine ist).

Die prinzipielle Ausrichtung des Musikpreises ist seit Jahren Gegenstand intensiver Debatten innerhalb des Verbandes. Viele Reformideen wurden geboren und wieder verworfen; ansatzweise – wie in der Zusammensetzung der Jurys – sind kleine Erfolge gelungen. So träge der Apparat mitunter nach außen wirkt, so beeindruckend ist umgekehrt auch, welch letztlich riesengroßes Projekt hier von gerade ein paar Händen gestemmt wird.

Trotzdem stellen sich gerade jetzt große Fragen. Die Majors brechen weg. Universal Music und Sony Music, gemeinsam für knapp zwei Drittel der in Österreich konsumierten Musik verantwortlich, haben radikale Kürzungen vorgenommen, und dabei ihre für das lokale Repertoire zuständigen Personalia ersatzlos gestrichen sowie ihre langjährigen Chefs verloren. Und das just zu einem Zeitpunkt, wo sich in beiden Häusern eine neue, kollegiale Nähe zu den Szenen entwickelt hatte.

Dementgegen wird die überwiegende Mehrheit des „Contents“ schon lange von den hunderten Indie-Labels produziert, die aber angesichts des Gesamtmarktanteils in der IFPI und also beim Amadeus vergleichsweise wenig zu melden haben. Die Ironie: Wenn die Unterstützung der nunmehr deutlich mehr aus den internationalen Konzernzentralen gesteuerten Majors wankt, fällt wohl auch der Musikpreis. Das Bekenntnis der marktbeherrschenden Player für die Unterstützung des lokalen Marktes droht den Aktionärsinteressen geopfert zu werden.

Womit eine alte Idee, wenn nicht Forderung, plötzlich nicht nur neues Gewicht, sondern eine völlig neue Bedeutung bekommen könnte: Dass der Amadeus eigentlich den hier agierenden und produzierenden Labels und Künstler:innen gehören sollte. Sie finanzieren das Spektakel immerhin (indirekt) aus den Töpfen der SKE-Fonds der LSG-Produzent:innen. Damit einhergehend stellen sich die alten Fragen umso drängender: Ist es opportun, die allermeisten Aspekte des größten Musikpreises des Landes einer TV-Sendung unterzuordnen? Eine Sendung, die zwar äußerst hochwertig produziert, aber vom Partner so nachrangig behandelt wird? Ist die aktuelle Form die bestmögliche Entsprechung eines Fests „für alle“? Erfüllt das Konstrukt die Hoffnung, Erwartung und Anforderung, positive Stimmung und einen Werbeeffekt für die Musikwirtschaft als Ganzes abzubilden?

Fest steht: The time is now. Angesichts der beschriebenen Umstände besteht durchaus die Möglichkeit, dass wir den letzten Amadeus erlebt haben. Gleichzeitig ist das Schlechtreden und das österreichische Rumsudern eine selbsttherapeutische Oberflächenmaßnahme, die dem Musikstandort Österreich oder dem Preis selbst nicht recht viel bringen wird. Genauso wie Handeln ist auch Zusammenhalt und Konstruktivität gefragt.

Der Amadeus ist die größte Spielfläche, die wir gemeinsam als Musikwirtschaft haben. Sie bringt eine große Last der Verantwortung mit sich. Aber auch eine – pun intended – große Chance. Vermutlich jetzt, oder schlimmstenfalls doch nie.


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