Am Besten in der Musik sparen

Die finanzielle Lage des Bundes ist dramatisch: Der Staat braucht Geld; er muss binnen weniger Jahre insgesamt über 18 Mrd. € einsparen – das sind, um den Kontext herzustellen, 1000 Jahre Licht ins Dunkel-Spenden: Viel Geld.

Dass diese horrenden Meldungen just in der heißesten Phase der Regierungsbildung kommen, verschärft die Dramatik zusätzlich. Nun mag man zu den Parteien und Koalitionsvarianten wie auch immer stehen, aber: Das ist für jedwede Regierung eine unangenehme und schwierige Aufgabe.

Die Geschichte lehrt uns, dass in der Kultur gerne als erstes gespart wird – denn hier ist es am vermeintlich Leichtesten und der Widerstand verhältnismäßig gering. Die fragmentierte Struktur und damit zusammenhängende unzureichende Vernetzung und das entsprechend schwache Lobbying der Kulturszene ist der perfekte Nährboden für die dräuende Katastrophe für dieselbe. Ein paar verärgerte Briefchen werden für die da oben da nicht viel ändern.

Was die Politik in ihrem hektischen Tagesgeschäft aber nur allzu gerne und oft übersieht, ist, dass Kultur und Musik aber eben kein Selbstzweck und Elitensport sind. Und hier liegt das eigentliche Problem. Die Musikstrategie-Runde, hat (angeführt vom Österreichischen Musikrat) in ihrem Papier für die kommende Regierung deutlich gemacht, dass Musik im Allgemeinen und die Musikwirtschaft im Besonderen eben auch für den Tourismus, in der Bildung – und vor allem im Bereich Wirtschaft und Finanzen von großer Bedeutung ist.

Der Bundeshaushalt für 2024 umfasste etwas über 100 Mrd. €. Der gesamten Kultur sind dabei 1.016,8 Mio €, das sind gerade einmal 0,8% des Budgets, zugewiesen. Der Kuchen ist im Vergleich also klein – wie das Gewicht der entsprechend möglichen Einsparungen nur unwesentlich sein könnten. Nur: Die letztjährige Studie zur Musikwirtschaft weist alleine ihr ein Volumen von 4,3 Mrd € Steueraufkommen zu. Das sind mehr als 2,8% des BIP, die direkt oder indirekt von der Musikwirtschaft abhängen.

Weiters stellt die Studie fest, dass jeder Förder-Euro von Bund und Ländern 36fach (!) ins Budget zurückfließt. Wohl kaum eine andere Investition des Bundes hat eine ähnliche Rendite. Die mit Abstand einfachste und klügste Methode, positive Effekte für das Budget im Bereich Kultur zu erzielen, wären daher also eher Investitionen. Denn umgekehrt bedeutet das: Jeder einzelne vordergründig eingesparte Euro ergibt eine direkte Budgetbelastung von 36 € – und der vermeintliche Einspareffekt ist flugs ins Gegenteil verkehrt. Wer so etwas macht, beherrscht weder Arithmetik noch Politik.

Dieselbe Studie, die auch zeigt, dass insgesamt 117.000 Arbeitsplätze an der Musik hängen, führt das darunterliegende Potential für deutlich höhere Einkünfte aus. Conclusio: Es wäre für den Staat tatsächlich bedeutend einfacher – selbst ohne große Mehrausgaben – deutlich mehr Geld mit diesem Bereich einzunehmen. Was auch nachhaltig ein kluger Weg zur Budgetkonsolidierung wäre. Man müsste es nur wollen.

Zu befürchten ist freilich vielmehr, dass die ideologischen Argumente für die bald herrschende Kaste weit schwerer wiegen als die tatsächlichen. Ob es zum Schaden des Staates ist, was für die eigene Überzeugung genehm und für das eigene Ehr- und Bauchgefühl richtig ist, war den meisten Regierungen der letzten Jahrzehnte (leider) herzlich egal.

Das angedrohte Zusperren von FM4 passt hier bestens ins Schema. Welche Angst im Besonderen rechtskonservative Politiker vor einem Sender mit 2-3% Reichweite zu haben scheinen, erstaunt und amüsiert jedes Mal aufs Neue. Das Radio ist einer der kleinsten Budgetposten des ORF. FM4 werden im letzten Transparenzbericht des ORF hingegen immerhin Einnahmen von rund 2,5 Mio € zugesprochen; die genauen Kosten für den Sender weist der ORF allerdings nicht aus. Fest stehen würde aber, dass (abgesehen von einem kulturellen Verlust) vor allem der wirtschaftliche Schaden ein Vielfaches davon wäre.

Der Sender, der wie kaum ein zweiter Baustein des ORF dessen oft zitierten „öffentlichen Kulturauftrag“ erfüllt, setzt 40% österreichische Musik ein und sendet diese Inhalte bundesweit. Dabei werden über AKM und LSG Lizenzen in Millionenhöhe ausgeschüttet – zu einem Großteil an Urheber:innen aus Österreich. Dieser finanzielle Grundbaustein mag im Gesamtkontext klein erscheinen, ist aber fast ausnahmslos die wichtigste Quelle für Investitionen innerhalb der Branche. Die nächsten Aufnahmen im Studio, ein Video- oder Werbeclip, die nächste Tournee wollen finanziert werden und setzen direkt einen Kreislauf in Bewegung, bei dem jeder Euro – siehe Studie – zigfach umgedreht und versteuert wird.

Hinzu kommt der gigantische Multiplikationseffekt; weil selbst weit über die österreichischen Grenzen hinaus viele genau darauf schauen, ob FM4 etwas „cool“ findet oder nicht. Das hohe Ansehen von Pop-Produktionen aus Österreich ist nicht zuletzt aus diesem Grund in den letzten Jahren bedeutend gestiegen. Und das gilt nicht nur für die direkt auf dem Sender groß gewordenen Paradebeispiele Bilderbuch und Wanda. Letztlich sind ausgelöst durch die so entstandene Welle Unternehmen und Expertisen entstanden, die heute Seiler & Speer beschallen, die Bühne bei Melissa Naschenweng bauen oder die Beleuchtung von Parov Stelar bereitstellen; die „Starnacht am Wörthersee“ abwickeln oder die Übertragung der Seefestspiele Mörbisch ermöglichen. Die Zusammenhänge sind geradezu unendlich und beginnen genau dort, wo man Raum und Möglichkeiten zu ihrer Entwicklung gibt – und das ist, wo der größte Wert von FM4 in den vergangenen 30 Jahren lag. Und das im Vergleich sehr billig.

FM4 abdrehen und auf die Kulturnation Österreich stolz sein wollen, das wäre in etwa wie den gesamten Waldbestand in Österreich niederzubrennen und gleichzeitig auf die Errungenschaften im Holzbau und in der Forstwirtschaft zu verweisen.

Die Regierung wird sich die Frage stellen müssen, ob das Budget oder das eigene Zornbinkerl-Dasein wichtiger sind; ob man lieber einer fatalen Fehleinschätzung unterliegt oder doch die so wichtigen Finanzen in Ordnung bringt; ob man ein billiges, bösewichtisch-triumphierendes „harhar!“ in Richtung der ach so bösen Kultur schmeißt oder einfach nüchtern den Rechenstift auspackt und begreift, dass justament sie ihr gerade ein perfektes, einfaches Werkzeug zu einem tatsächlichen politischen Erfolg gereicht hat.

 


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