Jetzt hat The Velvet Sundown, rechtzeitig vor Veröffentlichung des neuen Albums, auch die Zeit im Bild, Österreichs wichtigste Nachrichtensendung erreicht. Vorangegangen war eine bemerkenswerte Serie an immer größer und aufgeregeter werdenden Artikel über diese völlig unbekannte Band; und alles tatsächlich nur wegen ihrer Musik. Denn die Band gibt es gar nicht, wie die Zeit im Bild frohlockt und von diversen Fach- und Qualitätsmedien berichtet wird. Die Sache rund um die komplett KI-generierten Inhalte hat gewiss viele diskussionswürdige Punkte; zwei wesentliche möchte ich mir gezielt heraus nehmen.
Einerseits ist mir schon beim ersten Aufpoppen der Geschichte ein kopfschüttelndes Lächeln ausgekommen, weil sie einen erstaunlichen Kreislauf endgültig vollendet: Mit der vermeintlichen Demokratisierung der Musik, den vereinfachten Produktionsmöglichkeiten und grenzenloser Marktzugänglichkeit, haben sich schnell tektonische Veränderungen innerhalb der Musikwirtschaft abgezeichnet. Allen voran betrifft das ein schwindelerregendes Tempo an Optimierung: Immer mehr Musiker:innen haben ihre Musik immer schneller dem angepasst, was scheinbar „funktioniert“; ergo auf Playlisten kommt und algorithmisch belohnt wird. Es ist das Spiel der ultimativen Anpassung, um gemocht zu werden oder wirtschaftlich erfolgreich sein zu können.
Die sogenannte künstliche Intelligenz tut nun genau das aber auf maschineller Basis: Sie perfektioniert rechnerisch genau das, woran sich der Mensch – im besonderen in den letzten 10 Jahren – „händisch“ abgearbeitet hat. Das Muster ist freilich nicht neu und die Strategie schon gar keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. In meinem Kommentar Leben im Rückspiegel habe ich auf ein wichtiges Rädchen in diesem Spiel bereits einmal verwiesen: Das Radio. Das hat nämlich ebenso (und schon lange) versucht, sich auf diese Art und Weise zu optimieren – und ist am besten Wege, genau aus diesem Grund an sich selbst zu scheitern.
Die KI kann da wie dort leicht errechnen, was „durchschnittlich genug“ ist; sie spielt mit dem oft festgestellten Faktum, dass die Musik ohnehin immer gleicher wird und gleichzeitig die Mehrheit der Hörer:innen etwas serviert bekommen möchte, das ihnen vertraut vorkommt. In dieser Beziehung wird die Maschine den Menschen schnell ersetzen können. Im Versuch, perfekt zu sein, wird man letztlich irrelevant und obsolet. Welch bitterböse Ironie des Schicksals.
Während man in der Musikvermarktung heute gern (schon durchaus ausweichend) von visueller Identität spricht oder noch vom guten alten „USP“ (dem Einzigartigkeitsmerkmal einer künstlerischen Persönlichkeit), vergessen wir allzu oft, woher die Musik eigentlich kommt: Die Musik entstand (u.a.) einst durch und wegen der Tradierung von Geschichten; eine Art Frühform der Wissensvermittlung. Davon ist wenig übrig. Durch ein dauerhaftes Anlehnen an eine angepasste Norm und den ultimativen Durchschnitt nehmen wir der Musik das Aufregende, das Neue, das Spannende; das Echte – und degradieren sie zum akustischen Begleitmaterial. Und solch belanglose Arbeit wird ja wohl auch die Maschine machen können. Well: We’ve come full circle.
Bleibt das „andererseits“: Die Medien. Das Verhandeln einer ernsten, viel größeren Debatte wird gerade öffentlich auf ein lustiges Geschichtchen reduziert: Haha, eine KI-Band, lol! Während höchstens noch aufgeregte Verbots- und Entschädigungsdebatten geführt werden, wird der Kern der Sache meist weit verfehlt. KI ist allemal ein Kuriosum; eine Art beobachteter Autounfall, bei dem man nicht wegschauen kann.
Genau so ist man einst auch mit Rechtsextremen umgegangen. „Schaut, hier macht jemand etwas Unerhörtes!“. Für das Sagen des Unsagbaren hat man Jörg Haider auf diverse Zeitungscover gehoben. Geschafft hat man damit eine mediale Spielfläche, ein idiotisches Belohnungssystem und letztlich nicht nur eine Rechtfertigung des Verhaltens, sondern den Beleg, dass es akzeptabel und in weiterer Konsequenz also richtig ist. So funktioniert das 1×1 der Psychologie. Die Medien haben in ihrer Sensationsgier ein Monstrum geschaffen. Gewiss unbeabsichtigt, aber durchaus mit gewissem Eigennutz. Denn das Unerhörte hat sich genau des Sensationalismus wegen auch verkauft. So, wie The Velvet Sundown heute Millionen Streams mit etwas machen, das eigentlich nicht sein darf. Schon wieder eine Menge Ironie. Gewürzt mit kapitalem Medienversagen.
Wie wird also der kulturelle Terminator-Krieg ausgehen? Nun, parallel zu den lauter werdenden „Erfolgsgeschichten“ wie unserer hier tauchen düstere Wolken, sogenannte AI Fallacies auf. Kurz gefasst: Das Internet ist bereits mit so viel Müll aus der künstlichen Intelligenz befüllt, dass sie über kurz oder lang nur mehr von ihrem eigenen Scheißdreck lernen kann. Weil viele dieser Information bereits falsch ist, multipliziert sich nicht das Wissen, sondern die Fehlinformation immer mehr (…probieren sie doch einmal ein Bild eines „Lachs im Fluss“ zu kreieren). Schon wieder eine geballte Ladung Ironie.
Wir sind dennoch und zweifelsohne an einem weiteren geschichtlichen Wendepunkt angelangt. Kunst im Allgemeinen und Musik im Besonderen haben seit jeher die „Raumschiff Enterprise“-Rolle, unentdecktes Territorium zu erforschen. Im Gegensatz zur KI, die sich eine Gegenwart aus der Vergangenheit errechnet, hatte Kunst immer die Gabe, die Zukunft zu vermessen und Utopien vorstellbar zu machen; unerzählte und unerzählbare Geschichten zu vermitteln und verkrustete Denkmuster aufzubrechen. Es wird Zeit, dass sie sich dieser Rolle wieder bewusst wird. Und wir endlich aufhören, die quantitative Mehrheit für etwas mit der qualitativen Meinung zu etwas gleichzusetzen. Aber das ist eine andere Geschichte.


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