Sushi

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie schon einmal Sushi gegessen haben. Aber haben sie wirklich schon einmal echtes Sushi gegessen? Und kennen oder erkennen sie den Unterschied?

In Japan ist Sushi einerseits alltägliches Essen, andererseits stecken unfassbar viel Kultur und Tradition, im Grunde sogar Philosophie in jedem Bissen klebrigem Reis, den man dort serviert bekommt: Um ein echter Sushi-Koch zu werden, verbringt man in der „Lehre“ zunächst wortwörtlich Jahre damit, nichts anderes zu tun, als das Reiskochen zu perfektionieren.

Für uns Europäer klingt das aufs Erste völlig absurd, und doch steckt hier ein sagenhaftes und gut begründetes Ausmaß an Respekt und Geduld dahinter. Am ehesten vermochte uns vielleicht noch Quentin Tarantinos „Kill Bill“ in Form der von Uma Thurman gespielten Braut zu vermitteln, wieviel Zeit und Hingabe die traditionellen asiatischen Kulturen aufwenden, um etwas zu perfektionieren.

Und was macht die westliche, endkapitalistische Kultur daraus? Sushi kam als exotisches Exklusivmahl nach Europa, wurde dann zur Running Sushi-Bar herunternivelliert und landete schließlich in den Supermarktregalen als Takeaway-Lunch. Vom beschriebenen japanischen Essen sind wir kulinarisch so weit entfernt wie geographisch. Den meisten Menschen macht das nichts. Sie kennen den Unterschied nicht. Dass der Wasabi ein billiges Imitat ist, das eingelegte Zeug Ingwer sein soll und das Krabbenfleisch ein Ersatzprodukt ist: Who cares. Es ist Essen. Und tief drinnen gibt es immer noch das Gefühl, sich etwas „Exklusives“ zu leisten. Das reicht.

Womit wir beim Punkt sind: Musik ist wie Sushi. Um sie zu perfektionieren, braucht es neben Talent vor allem Zeit, Hingabe und viel Geduld. Wenn das Nachbarskind mal wieder Violine übt, kommt der Gedanke: „Schon wieder Reis“. Doch irgendwann wird würdiges Sushi daraus.

Die technologische Entwicklung der letzten 120 Jahre hat Musik vom exklusiven Gut zur Supermarkt-Ware gemacht – für die Produktion ebenso wie für die Konsumation. So sehr es zu schätzen ist, dass nun jeder und jedem die Möglichkeit dazu gegeben ist, ist das dem Respekt für das Dahinterliegende wenig zuträglich: Die begleitende Schule des Denkens; wenn man so will die japanische Philosophie; fehlt völlig.

Die Tragödie ist: Wir sind noch nicht mal die Hälfte des Weges gegangen. Die KI-Flut, die gerade anhebt, geht schon weit über unser Supermarkt-Sushi hinaus. Und Menschen, die nicht gelernt und begriffen haben, was hinter „echtem“ Sushi steckt, werden den Unterschied weder schmecken noch sich dafür interessieren. Es ist ein Grundnahrungsmittel, es liefert Kalorien. Wird schon passen; es ist ja eh etwas Exklusives.

Schöne neue Welt? Oder wird das „Echte“ damit gar etwa wieder mehr Wert? Anlässlich des Aufkommens der Streaming-Ära hatte ich argumentiert, das Album sei entgegen der landläufigen Meinung keineswegs tot. Nein, es wäre sogar mehr Wert. Ein Album, das musste man sich plötzlich wieder verdienen; „leisten können“. Gibt es überhaupt genug Interessierte und Fans dafür? Ist das Material gut genug oder schmeißen wir einfach 10 fertige Tracks zusammen?

Das mag etwas zynisch gewesen sein, aber nicht grundfalsch. Doch setzt(e) es voraus, dass begleitend daran (weiter)gefeilt wird, dass die Menschen im Allgemeinen (an)erkennen, was echtes Sushi ist, was dahinter steckt und warum es teurer ist als jenes aus dem Supermarkt. Und das es ihnen nicht so egal ist, wie es ihnen aktuell zu werden scheint.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Sushi”.

  1. Der Vergleich hat was, erinnert mich aber stark an den „Kulturverfall“, den schon die honorigen Römer (bewusst männlich gehalten) vor 2000 Jahren beklagten. Die Frage ist doch nicht, ob eine Entwicklung stattfindet, sondern, wie man diese nützen kann oder zumindest, wie Alternativen aussehen.

    Als Musiker, der mit der Digitalisierung groß geworden ist, finde ich die Demokratisierung der Produktionsmittel einen der größten Fortschritte im Musik-Business, den es gibt. Es hat sich dennoch doch nicht viel geändert? Die Vertriebskanäle, heute Spotify & Co. früher Radio, Elektronikketten, usw., packeln mit den Record-Majors und auf der Strecke bleiben, wie gehabt, die „kleinen“ Musiker:innen. Das war schon immer so.

    Das Publikum, nimmt das, was es einfach und billig kriegen kann und lernt im Laufe des Lebens dazu oder auch nicht. Das ist mit Sushi auch so. Wir haben nicht die Kultur für Sushi und selbst Japan gibt es abgepacktes Sushi trotzdem zu Hauf. Nicht jeder geht in Tokyo zu Jiro Ono Sushi essen.

    Was also ist zu tun? Auf Ideen in diese Richtung bin ich neugierig und gespannt. Sich darüber aufregen ist im Augenblick gut und wichtig, aber es geht um Alternativen.

    Auch meine Band versucht sich mit einem Gegenentwurf. Vielleicht klappt es – wir wissen es nicht? Aber auf jeden Fall ist Gehirnschmalz, Risikofreude und ein guter Draht zum Publikum und zu den Multiplikatoren nötig. Aber das war schon früher nicht anders.

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