Der Wind.

Anlässlich des Tages der Musik der AKM im Schloss Laxenburg (05.10.2022) wurde ich gebeten, zum Thema des Tages – Distribution und Vermarktung für Musik aus den Regionen – die Keynote zu halten. Hier ist das Skript dazu.

“Langsam findt’ da Tog sei End’ – und die Nocht beginnt.
In der Kärntner Stroßn do singt ana ‘Blowin’ In The Wind’”

Ich komme aus dem Burgenland. Im Burgenland stehen mehr Schilifte als in Tirol Windkraftanlagen stehen. Und Windräder stehen im Burgenland mehr, als es hier in Niederösterreich Kreisverkehre gibt – und das heißt was.

Vor 30, 40 Jahren war das Burgenland das Armenhaus Österreichs, das Zentrum eines Weinskandals, der Gegenstand von Witzen. 

Aber es hat früh die Zeichen der Zeit erkannt – und ist nun seit bald einem Jahrzehnt energieautark; es hat fantastische, vielfach ausgezeichnete Weine und wer zuletzt lacht, lacht gerade jetzt am Besten.

Das Burgenland war übrigens auch der Platz, wo Opus “Life is live” zum Leben erweckt haben. Und wo Stinatz liegt, die Heimatgemeinde der auch musikalischen Familien Resetarits und Stipsits; die im Lied, das ich eingangs zitiert habe, ebenfalls vorkommt. 

Worauf aber will ich hinaus – wir sind zwar in der Nähe, aber nicht im Burgenland.

Ich will meine Heimat als Symbol verstehen und zeigen, was wir alle daraus lernen können.

Erstens: Schau dich um. Wer bist du, wo bist du her, welche Werkzeuge hast du zur Verfügung, welche Talente sind deine Stärksten? Was sind deine Weingärten, wo sind deine Energiequellen, was macht dich unabhängig, besser und stärker?

Und zweitens: Schau nach vorn. Nimm den Status Quo nicht als einzementiertes Etwas zur Kenntnis, spring über deinen Schatten. Gib dich mit dem Erreichten nicht zufrieden, glaube an deine Vision; was ist dein Weltklasse-Wein, was ist deine Energieautarkie?

Jetzt werden die ersten beim Nachschlagen entdecken, dass ich hier eigentlich über neue Wege in der Distribution und Vermarktung sprechen soll und dann rede ich über den Wind. 

Nun. Wir sind alle aus einem bestimmten Grund in der Musik – und bei den Allermeisten wird das eine Form von Leidenschaft sein; vermutlich die Neugier, etwas Neues zu schaffen, DIESE EINE bislang ungehörte Melodie zu finden, DIESE EINE Textzeile auf Papier zu bringen, die den Unterschied macht. Etwas Neues, etwas Aufregendes, Spannendes.

Wir können uns also gar nicht leisten, uns nur auf dem Spielfeld des Bekannten umzusehen. Wir haben den Drang, weiter zu schauen. Wir MÜSSEN etwas Neues machen. Wozu gäbe es sonst die AKM, die explizit das NEUE, das ORIGINALE schützt.

Nur was bringt das Neue in die Welt zu bringen, wenn wir diese Welt nicht erreichen? Bislang haben wir uns lange und gerne auf einen sprichwörtlichen Sender dazwischen verlassen. 

Ich betreibe seit 21 Jahren ein Label und in dieser Zeit hat sich die Art und Weise, wie man Musik produziert, veröffentlicht und vermarktet nicht nur ein Mal grundlegend verändert, sondern in immer schneller werdenden Abständen und immer wieder. Und sie hat sich fragmentiert und zersplittert. Von CD zu illegalen Downloads und kopierten Festplatten zu iTunes und Spotify und sogar wieder Vinyl. Und die Medien, die wir mit unseren Inhalten bespielen von MTV und Wetten, dass bis hin zu TikTok und YouTube.

Das ändert freilich nichts daran, dass Radio und Fernsehen noch immer wichtige Partner sind.

Angesichts der jüngeren Berichte, etwa vom Wochenende, müssen wir aber annehmen, dass sie in dieser Geschichte vielleicht eher in der Rolle der fossilen Brennstoffe in dieser Metapher 

sein möchten.

Statt nach vorne schaut man dort unfassbar gerne zurück: Alles ist auf Umfragen und vermeintliche Studien von sehr gescheiten Beratungsfirmen gestützt. Man traut sich und dem Hörer nichts zu, sondern geht auf Nummer sicher. Man will niemanden verschrecken oder zum Abdrehen bewegen, nirgends anecken. Man verweist auf Zahlen und Analysen und dass man ja die Werbeeinnahmen braucht und das alle Logiken vorgibt. Und die Werbeeinnahmen sind im Gegensatz zum “Kulturauftrag” eine religiös verehrte Verfassungsbestimmung.

Nur: Umfragen können immer nur abbilden, was war; was bekannt ist. Wenn sie mit dem Auto zu einem weit entfernten Ziel auf unbekannter Strecke fahren: Schauen sie dann ausschließlich in den Rückspiegel? Schließen sie aus den letzten 20km gerader Strecke, dass es auch die nächsten 20km geradeaus weiter geht? Ich glaube, irgendwann wird die Strategie schief gehen. Besonders in Niederösterreich – wegen der Kreisverkehre.

Das Analysieren, das nach hinten schauen: Das erledigen übrigens die gerne für böse erklärten Algorithmen mittlerweile deutlich besser als Umfrageinstitute. 

Als Anekdote dazu fällt mir ein: Eines der beliebtesten Programme auf Streaming-Diensten ist die Playlist “Nature Sounds”. Sie bedient die offenkundig starke Nachfrage, die Geräusche von Regentropfen und rauschenden Blättern im Wald abzuspielen. Vielleicht war also das Airplay für die von mir sehr geschätzte Ina Regen für den großen Radiosender nur ein Missverständnis aus einer Umfrage. Aber wer weiß… noch haben Algorithmen keine Ministerien besetzt, sie sind also noch klar im Nachteil.

Nach vorne schauen braucht Mut, es erfordert Überwindung. Aber es ist auch Hoffnung und Versprechen auf Veränderung und Fortschritt. Das liegt im Auge des Betrachters, so wie die Tatsache, dass jeder “böse” Algorithmus auch ein Werkzeug ist.

Ob ihre Vermarktungs- und Vertriebsstrategie jetzt immer noch auf die CD oder schon auf TikTok zielt, ist keine Frage von richtig oder falsch. Erstens ist das wirklich so individuell zu beurteilen, wie sie als Autor:innen und Komponist:innen sind. Zweitens können und sollen sie ihren Blickwinkel einfach umdrehen, wenn ihnen die aktuelle Perspektive nicht gefällt.

Die CD stirbt?
Machen sie eine speziell ausgestattete, originell verpackte Sonderedition in limitierter Auflage für ihre Fans. 

Der Radiosender ihrer Wahl verweigert Airplay für ihren Song? 

Strafen sie ihn dafür ab: Seiler und Speer oder Edmund wurden erst vom Radio wahrgenommen, als sie schon Hallen füllten.

Ihr Publikum ist nicht auf Spotify? 

Begreifen sie Streaming als große Chance, neues und anderes Publikum zu finden oder für ihre Zielgruppe früh daran zu sein – es wird sich lohnen.

Beschäftigen sie sich mit den Zahlen, Daten und Algorithmen; machen sie sich das Werkzeug zu eigen. Begreifen sie es als einen zu pflegenden Weingarten, der durchaus guten Wein abwerfen kann, wenn sie ihn gut pflegen und bearbeiten. Seien sie neugierig auf diese Welt und begreifen sie sie als ihren Spielplatz, auf dem sie immer wieder neue Spielzeuge entdecken. Passieren tut das sowieso – die Welt bleibt nicht stehen und schon morgen ist das neue Instagram wichtiger als das alte Facebook und haben sie schon von Be.Real gehört? 

Diese Welt bleibt nicht stehen und weil sie mit dieser Einstellung vorne sind, profitieren sie morgen von ihrer Neugier und ihrem Willen, es anders und besser zu machen. Auch ausgetretene Pfade sind irgendwann entstanden, weil der oder die Erste den Weg gegangen ist. Und der oder die hat heute noch Vorsprung, ist unabhängig und wahrscheinlich energieautark, während die anderen nur nachlaufen. 

Wenn sie nicht zufrieden sind, wie die Lage ist – und ich sende das als Nachricht mit Nachdruck auch und besonders an die MEDIEN: Schauen sie sich um. Machen sie es wie das Windrad und machen sie aus dem, was da ist, pure, zukunftsfähige Energie. 

Sonst gehts ihnen unter Umständen so, wie dem Musiker mit dem grean Röckerl unterm Steffl: 

“Aus der Traum zerplatzt wia Seifenblosn nix is blieb’n

Ois wia a paar Schilling in seim Gitarrenkoffer drin”

“Blowin’ in the wind” übrigens wurde vor genau 60 Jahren von Bob Dylan geschrieben. Darin verpackt er die ganze Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit über einen sinnlosen Krieg und über die stocksteife Gesellschaft seiner Zeit. Er handelt vom Wunsch nach Frieden, von der Notwendigkeit zur Veränderung und von der Gewissheit, dass niemand sich einfach so zurücklehnen und wissen kann, was morgen ist, denn: “The answer my friend, is blowin’ in the wind.”

Allen Künstler:innen sage ich deshalb, trotzdem und umso mehr – auf die Gefahr hin, dass sich für ihr nächstes Lied vielleicht nicht gleich ein Nobelpreis ausgehen wird: Seien sie mutig. Seien sie anders. Seien sie die Antwort: Seien sie der Wind.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s