Vor ein paar Wochen wurde der Geschäftsführer der österreichischen Division von Universal Music aus dem Unternehmen verabschiedet. Cornelius Ballin kam aus der Berliner Zentrale vor knapp 8 Jahren nach Österreich. Was er für den mit Abstand größten Marktteilnehmer in Wien angeleiert und geschafft hat, ging aber weit über Zahlen hinaus und kam einem Zeitenwandel gleich: Respekt.
Universal Music und die Geschwister in der Major-Familie haben sich in den letzten zwanzig Jahren sehr schwer getan, Acts aus dem szenischen Untergrund hochzuziehen und zu erfolgreichen Vorzeigemodellen zu machen. Das hat gut nachvollziehbare strukturelle Gründe im Markt und in den jeweiligen Konzernen gehabt. Die Acts, die einen Unterschied gemacht haben, kamen praktisch ausnahmslos aus dem Independent-Bereich und/oder wanderten erst nach ihrem Durchbruch in die großen Burgen der Majors – dann aber vornehmlich direkt zu jenen auf deutschem Boden.
Unter Ballin aber begann man in Wien den Aufbau einer eigenen Label-Spielwiese (Mom I Made It) für österreichische Produktionen aus dem Rap-Umfeld; besetzt mit willigen, cleveren, jungen, in die Musikwirtschaft strebenden Enthusiasten. Und was passierte? Über die letzten Jahre bröckelte das Major-Klischee plötzlich, weil der konsequente Zugang zu den Szenen, die Beschäftigung mit obskuren Stars aus dem Untergrund, der Mut, in A&R zu investieren, erste Blüten zeigte. Man begegnete Künstler:innen auf Augenhöhe und pumpte Mittel in den gezielte Aufbau von Acts wie Eli Preiss, Saló oder Bouncy. Nichts davon erreichte auf Anhieb die Höhen von Wanda oder Bilderbuch; aber so eine Wiese braucht eben Pflege und eine Form von Zuneigung, vor allem aber die entsprechende Geduld.
Ein paar Stockwerke höher in der Konzernhierarchie aber geht es um Zahlen. Manchmal sind diese Interessen gut, manchmal schlechter versteckt; meistens hinter dürftig bekleidete Euphemismen wie jüngst unter dem Schlagwort „artist centric“ durchgesetzte Abrechnungsregeln bei Streamingdiensten.
Österreich ist da im Markt, was es in der Politik ist: Es taugt als Mitläufer für die Konzerne, hat Wachstumsraten im zweistelligen Prozentbereich, macht nicht viel Lärm und, nunja, existiert. In den Zentralen profitiert man von lokalem Konsum von Katalog und internationalem Repertoire, ob man nun etwas dafür tut oder nicht. Letztlich ist das Land ein kleines kulturelles Anhängsel des viel größeren und bedeutenderen deutschen Marktes. Warum also in den Markt selbst investieren?
Wirft man einen Blick in die Charts, spiegeln sich dort vor allem diese Interessen wieder. Fünf Titel der Top 10 der Jahrescharts von 2023 sind deutschsprachige Titel; allesamt sind sie deutsche Produktionen, die von der Dominanz der Playlisten- und Algorithmenlogik der großen Streamingdienste getrieben auch den Konsum österreichischer Hörer:innen prägen. Ein Übriges tut die Konsumlogik: Junge Menschen hören mehr und länger Musik, „ihre“ Titel sind entsprechend stärker in den Charts repräsentiert als die älterer Zielgruppen. So sind selbst gefühlt große österreichische Acts, die mit viel medialer Unterstützung zu enormer Popularität gekommen sind; etwa der Zusammenschluss von Paul Pizzera, Christopher Seiler und Daniel Fellner als Aut of Orda, nicht im Entferntesten in der Nähe von Spitzenplatzierungen in den Charts.
Aus diesen Listen aber sprechen ökonomische Wahrheiten. Und aus diesen ist abzuleiten: Österreich lohnt sich nicht. Zumindest nicht für einen „kostenoptimierenden“ Weltkonzern, der an die Börse will. Und so wird künftig auf lokales Produkt verzichtet. Dem Vernehmen nach werden die Mitarbeitenden, die sich um die ‚zarten Pflänzchen‘ gekümmert haben, anderen Aufgaben zugewiesen; vielleicht auch welchen beim AMS. Und das ist immens traurig.
Einerseits gibt es in der dünn besiedelten österreichischen Musikwirtschaft viel zu wenige Menschen, die sich über derlei Arbeit das essentielle Know-How und das Netzwerk aufgebaut haben, um Künstler:innen wirklich weiterhelfen zu können. Andererseits gibt es aber auch wenige Unternehmen, die die Möglichkeiten haben, solche Menschen nun aufzufangen. So gut der Markt – auch der lokale – gewachsen ist: In diesen Tagen zieht ein eiskalter Sturm über die Wiese mit ihren gerade zu blühen beginnenden Pflanzen. Und das ist vor allem auch für die Musikschaffenden eine Hiobsbotschaft.
Ich bin mehrmals gefragt worden, ob es denn nicht gut für „uns“ (das Musikunternehmen Ink Music) sei, wenn Universal sich quasi aus dem produzierenden Markt zurückzieht. Die Antwort ist glasklar: Nein. Es ist furchtbar und es macht mich rasend. Weil es den Markt künstlich zu einem Passagier degradiert und allen hier Arbeitenden kühl den Mittelfinger zeigt. In so einer Umgebung ist es auch für die verbleibenden Mitbewerber nicht leicht(er) – im Gegenteil.
Die komplette Schließung der Österreich-Filialen von Sony, Warner oder Universal steht derzeit zumindest öffentlich nicht zur Debatte. Wirklich weg gehen die Gerüchte und sanften Drohungen in die Richtung aber schon seit der Napster-Welle nach 2001 nicht. Dass jetzt ein Schweizer von seiner Heimat aus den Wien-Betrieb des größten Players mitleiten wird, ist – bei aller Sympathie für Ivo Sacchi – ein furchtbares Signal.
Dass ein ähnlicher, abrupter Strategiewechsel auf größerer Ebene zuletzt auch bei BMG in Berlin die Liebe zur Zahlenoptimierung dermaßen klar und weit über die Liebe zur Musik stellt, ist so wenig beruhigend wie überraschend. Musik wird immer mehr zum Finanz-Asset; der Katalog ist wie eine Immobilie in guter Lage; Bruce Springsteen und David Bowie sind nicht viel Anderes als ein paar Villen an der Riviera. Was Musik für die Zuhörenden, für eine lokale Kultur und Gesellschaft ist, darum sollen sich doch andere kümmern. Nun: Auch diese anderen haben kühle Mittelfinger.

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